Henrike Lähnemann
Vorlesung: Bibeldichtung
Einführung - Was ist Bibeldichtung?

Zwei Textstücke zur Problematik von Bibeldichtung im Mittelalter bzw. zur Verarbeitung biblischen Wissens im Mittelalter:

1. Hugo von Trimberg: Die Vertreibung aus dem Paradies aus dem 'Renner'

hg.v. Gustav Ehrismann, Tübingen 1909 (1970).
  1. Dô Adâm und Êvâ beide
  2. Von der wunneclichen heide
  3. Des paradîses muosten scheide,
  4. Dô lebten sie mit leide.
  5. Verfluochet was diu erde:
  6. Da ir lîpnar sölte werde,
  7. Dâ wuohsen hagen unde dorn:
  8. Daz kam von gotes zorn.
  9. Frouwe Êvâ zwên süne gewan.
  10. Der eine wart ein ackerman,
  11. Der was geheizen Kâîn.
  12. Âbel hiez der bruoder sîn.
  13. Der was ein hirte bis an den tac,
  14. Daz er sîder tôt gelac
  15. Von sînem bruoder, der in sluoc.
  16. Dâ mit sî der rede genuoc.
  17. [Âbel hât den lîp verlorn,
  18. Ê denne sîn vater wêr geborn].
  19. Sît gewan frouwe Êvâ kinde vil,
  20. Von den ich nu niht sagen wil:
  21. Doch sît des von mir gewis:
  22. Ein buoch daz heizet Genesis,
  23. Dâ vindet man geschriben an,
  24. Swer lesen und verstên kan,
  25. Von der werlde anegenge.
  26. Diu rede wêr mir ze lenge
  27. Und ouch diu wort ze strenge,
  28. Daz ich si sölte brenge
  29. Von latîn ze diute:
  30. Der süln klôsterliute
  31. Pflegen und ander pfaffen,
  32. Die got dar zuo geschaffen
  33. Hât, daz si guot bilde geben
  34. Uns leien an lêre und ouch an leben.
Zu Vers 167f vgl. die sogenannten 'Ioca monachorum' (Walther SUCHIER, Das mittelalterliche Gespräch Adrian und Epictitus nebst verwandten Texten (Joca Monachorum), Tübingen 1955), z.B. die Fragen C 1) Quid primo ex Deo processit? Fiat lux, C 2) Quid est mortuus et non est natus? Adam, C 3) Qui dedit quod non accepit? Eva lac, Q 3) Quis fuit natus ante patrem et matrem? Cain et Abel, C 4) Qui aviam suam deviolavit virginem? Abel terra, Q 11) Quis clamavit sine lingua? Sanguis Abel.

2. Heinrich von Mügeln: V. Buch

Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. Erste Abteilung: Die Spruchsammlung des Göttinger Cod. Philos. 21. 2. Teilband: Einleitung, Text der Bücher V-XVI, hg.v. Karl Stackmann (= Dt. Texte des MAs LI), Berlin 1259. Kopiert ist nur der von Stackmann kritisch hergestellte Text des 5. Buches, dem in der Ausgabe immer der überlieferte Text vorangeht. // Hie setzt der meister nün vnd drissig lieder in den er had begriffen die Bibele vnd die propheten kürtzlichin vnd beslossen. Die selben lieder singen sich in syme hofedone, der hie stet geschriben.

Genesis (Gn)

Wer nu der bibel buch
wil stricken in sins herzen tuch,
den wil ich leren ane such,
  kurz, wie ir ordenunge stat.
das erst ist Genesis.
 In dem die schephenunge lis
beschriben, als der himel is,
  erd, engel, mer, luft, boum, tier, sat,
    Adam, Abel, Enoch, die ark, die flüte,
    Abram, Isak, Loth, Sodoma verbrüte,
   Jacob, Egipten früte,
       Joseph. des fünfzig capitel sint.

Exodus (Ex)

Darnach ist Exodus.
des buches text, der stet alsus:
wie durch des roten meres fluß
   her Moises der Juden diet
furt, wie Pharo ertrank,
wie wag durch fels dem volke drang,
wie an der furk die nater slang,
   die zen gebot wie got beschiet,
    den tabernakel, von Aronis kleide,
     wie got das himelbrot da gab zu weide,
    des halbes guß schuf leide.
       das buch in vierzig capitel bint.
Zurück zur Hauptseite 'Vorlesung Bibeldichtung'
Hauptseite Henrike Lähnemann
Lehre
Projekte
Homepage Mediävistik
Deutsches Seminar
Uni Tübingen