Gottfried von Straßburg: Aus dem 'Tristan'-Prolog

Text nach Friedrich Ranke; mit Akzenten versehen für das Tristan-Wörterbuch aufbereitet von Paul Sappler. (einführende Lit.: Arbeitsbuch 'Tristan' von Christoph Huber); im Netz bei der Bibliotheca Augustana.

Aufgaben: 1. Übersetzung
2. Worauf zielt die einleitende Argumentation?
3. Wie ist sie mit der Handlung verbunden?

     Gedaehte mans ze guote niht,
     von dem der werlde guot geschiht,
     sô waere ez allez alse niht,
     swaz guotes in der werlde geschiht.
    
5   Der guote man swaz der in guot
     und niwan der werlt ze guote tuot,
     swer daz iht anders wan in guot
     vernemen wil, der missetuot.
    
     Ich hoere es velschen harte vil,
10  daz man doch gerne haben wil:
     dâ ist des lützelen ze vil,
     dâ wil man, des man niene wil.
    
     Ez zimet dem man ze lobene wol,
     des er iedoch bedürfen sol,
15  und lâze ez ime gevallen wol,
     die wîle ez ime gevallen sol.
    
     Tiure unde wert ist mir der man,
     der guot und übel betrahten kan,
     der mich und iegelîchen man
20  nâch sînem werde erkennen kan.
    
     Êre unde lop diu schepfent list,
     dâ list ze lobe geschaffen ist:
     swâ er mit lobe geblüemet ist,
     dâ blüejet aller slahte list.
    
25  Rehte als daz dinc z'unruoche gât,
     daz lobes noch êre niene hât,
     als liebet daz, daz êre hât
     und sînes lobes niht irre gât.
    
     Ir ist sô vil, die des nu pflegent,
30  daz si daz guote z'übele wegent,
     daz übel wider ze guote wegent:
     die pflegent niht, si widerpflegent.
    
     Cunst unde nâhe sehender sin
     swie wol diu schînen under in,
35  geherberget nît zuo z'in,
     er leschet kunst unde sin.
    
     Hei tugent, wie smal sint dîne stege,
     wie kumberlîch sint dîne wege!
     die dîne stege, die dîne wege,
40  wol ime, der si wege unde stege!
    
     Trîbe ich die zît vergebene hin,
     sô zîtic ich ze lebene bin,
     sône var ich in der werlt sus hin
     niht sô gewerldet, alse ich bin.
    
45  Ich hân mir eine unmüezekeit
     der werlt ze liebe vür geleit
     und edelen herzen z'einer hage,
     den herzen, den ich herze trage,
     der werlde, in die mîn herze siht.
50  ine meine ir aller werlde niht
     als die, von der ich hoere sagen,
     diu keine swaere enmüge getragen
     und niwan in vröuden welle sweben.
     die lâze ouch got mit vröuden leben!
55  Der werlde und diseme lebene
     enkumt mîn rede niht ebene.
     ir leben und mînez zweient sich.
     ein ander werlt die meine ich,
     diu samet in eime herzen treit
60  ir süeze sûr, ir liebez leit,
     ir herzeliep, ir senede nôt,
     ir liebez leben, ir leiden tôt,
     ir lieben tôt, ir leidez leben.
     dem lebene sî mîn leben ergeben,
65  der werlt wil ich gewerldet wesen,
     mit ir verderben oder genesen.
     ich bin mit ir biz her beliben
     und hân mit ir die tage vertriben,
     die mir ûf nâhe gêndem leben
70  lêre unde geleite solten geben:
     der hân ich mîne unmüezekeit
     ze kurzewîle vür geleit,
     daz sî mit mînem maere
     ir nâhe gênde swaere
75  ze halber senfte bringe,
     ir nôt dâ mite geringe.
     wan swer des iht vor ougen hât,
     dâ mite der muot z'unmuoze gât,
     daz entsorget sorgehaften muot,
80  daz ist ze herzesorgen guot.
     ir aller volge diu ist dar an :
     swâ sô der müezege man
     mit senedem schaden sî überladen,
     dâ mêre muoze seneden schaden.
85  bî senedem leide müezekeit,
     dâ wahset iemer senede leit.
     durch daz ist guot, swer herzeclage
     und senede nôt ze herzen trage,
     daz er mit allem ruoche
90  dem lîbe unmuoze suoche.
     dâ mite sô müezeget der muot
     und ist dem muote ein michel guot;
     und gerâte ich niemer doch dar an,
     daz iemer liebe gernde man
95  dekeine solhe unmuoze im neme,
     diu reiner liebe missezeme:
     ein senelîchez maere
     daz trîbe ein senedaere
     mit herzen und mit munde
100  und senfte sô die stunde.
    
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